Ein Stand der Dinge

Prof. Dr.Ing. Ekhart Hahn
oekocity@aol.com

 
Der frühen Erkenntnis dienend, dass ökologische Sichten nicht auf den Wald und den  länd-
lichen Raum beschränkt sind, sondern - und im Besonderen - zum Bestandteil der städ-
tischen Kultur werden müssen, hat der Referent seit den siebziger Jahren in Deutsch-
land als Pionier gewirkt, war an zahlreichen wegweisenden Stadtplanungen mit der Perspek-
tive der Nachhaltigkeit federführend beteiligt. Allzu oft erwiesen sich allerdings (vorgescho-
bene?) ökonomische Zwänge und wohl noch mehr mentale Blockaden in den Köpfen der
Verwaltungen und anderes geartete Interessen von meinungsstarken Akteuren als fast
unüberwindliche Hemmnisse.

 

Mit seinen Aktivitäten erwarb der Referent sich jedenfalls einen internationalen Ruf, der ihn
bis nach Japan führte und inzwischen zu einer annähernd fünfzehnjährigen Geschichte
der Beratung und eigener Erfahrung in diesem Land wurde.
 
Seit den 1950er Jahren existiert dort ein Ring von Dorfgemeinschaften, Yamagishi Bewegung
benannt, deren Philosophie wohl am besten der Begriff der "spirituellen Kommune"
gerecht wird. Die Mitglieder bringen ihr gesamtes Vermögen ein, dafür benötigen sie
innerhalb der Gemeinschaft kein Geld mehr, sondern werden mit allem, was sie wünschen,
versorgt.

 

Im Kern geht es jedoch um die völlig andere Art und Weise, wie dort der Natur das Notwendige
zum Leben entnommen wird. Pflanze, Tier oder Boden sind keine Ressource zur Ausbeutung,
sondern Entitäten eigener Würde, die eine achtungsvolle Behandlung erfahren. Um ein Beispiel
zu nennen: In zeitgreifender Handarbeit wird jede einzelne Frucht an den Bäumen mit einem
witterungsfesten Papierbeutel vor Insekten geschützt. Auf diese Weise ist der Einsatz von
chemisch-pharmazeutischen Mitteln jeglicher Art überflüssig. Jegliche organischen Abfälle
werden als Dünger in den Kreislauf zurückgeführt.

 

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Die Mitglieder stehen auf einer Ebene in der Verantwortung und jeder kann sich den Bereich
der Tätigkeit wählen, dies dauerhaft oder rotierend. Die Produkte decken weitaus mehr als
den eigenen Bedarf und sind sehr begehrt. Inzwischen werden sie in eigenen Geschäften
vertrieben. Der Gesamtverband von mehreren Dörfern mit ca. 1.500 Menschen erreicht
einen Jahresumsatz von 120 Millionen €.

 

Die Gemeinschaft ist also wohlhabend, jedoch nicht  deshalb. Der eigentliche Reichtum
erwächst aus ihrer Spiritualität. Mittels einer Methode namens Ken San gelingt es jedem, den
persönlichen Wesenskern zu ergründen. Dadurch erreichen die Menschen eine Selbstgenüg-
samkeit, in dem sie tiefe Befriedigung aus ihrem Tun mit den Pflanzen und Tieren gewinnen.
Die Pflicht zur Arbeit wandelt sich in freudvolle Widmung, die Befriedigungssurrogate des
Konsums werden überflüssig. Stattdessen haben künstlerische und kulturelle Ausdrucksformen
und Darstellungsweisen eine große Bedeutung. Dies generationenübergreifend.
 
Es ist eine Lebensweise, die in Vollendung die materielle Seite der Existenz im kleinen Kreislauf
sichert, was den Raum für spirituelle Entfaltung bietet, die wiederum Basis einer Philosophie ist,
die die Art und Weise der Produktion formt.
 
Eine harmonisch balancierte Gemeinschaft in einer völlig anders orientierten Gesellschaft,
allenfalls vergleichbar den Amish People in den USA, ohne deren religiöse Dogmen und
Verzichthaltungen, der es gelingt, ihre Werte und Methoden an die nachfolgende Generation
weiterzugeben. Dennoch ist ein nicht spannungsfreies Verhältnis zur Außenwelt entstanden,
die sektenhafte Abschließung kritisiert. Einige der Mitglieder haben sich daher entschlos-
sen, durch einen verstärkten, organisierten wirtschaftlichen Kontakt zur Umwelt die Prinzipien
insbesondere des Ken San in einem anderen Rahmen und mit anderer Begrifflichkeit in die
Gesellschaft hineinzutragen. Es wird eine der spannendsten und entscheidenden Phasen in der
Entwicklung der Bewegung sein, ob und wie weit dies gelingt.

 

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